Dreisprachigkeit
Eins, Due, Trei: Ein Land, drei Sprachen
Südtirol ist eine kleine deutsche Insel am Rande Italiens, sprachlich gesehen eine Minderheit. Innerhalb der Provinzgrenzen selbst wird es kurios: Hier befinden sich die Italiener in der Unterzahl, zugleich lebt in einigen Tälern eine weitere Gruppe, eine Minderheit in der Minderheit – die Ladiner. In einer halben Million Menschen fallen somit drei verschiedene Kulturen zusammen, zwischen denen die Sprache Grenzen schafft. Oder schaffen könnte. Denn in Südtirol mit seinen drei offiziellen Landessprachen gehört die Mehrsprachigkeit inzwischen zum guten Ton. Sie ist das Ergebnis komplexer historischer Entwicklungen und hat das damals noch zu weitesten Teilen deutsche Land im 20. Jahrhundert grundlegend verändert.
Eine schwierige Geschichte
Südtirol und mit seinen ladinischen Tälern war zu Beginn des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914 noch Teil von Österreich-Ungarn. Zieht man aber die geographische Linie entlang des Alpenhauptkamms, liegt Südtirol auf der südlichen, italienischen Seite. Vor allem aufgrund seiner vorteilhaften Lage mit Zugang zum Brennerpass weckte das Land Begehrlichkeiten und wurde Teil der Kriegsbeute, die die Entente Italien dafür bot, die Seiten zu wechseln. Italien verließ bekanntlich daraufhin die Mittelmächte Österreich-Ungarn und das Deutsche Kaiserreich. 1920 schließlich wurde Südtirol annektiert. Vor allem in der Zeit des Faschismus von den Zwanzigern bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs wurden in den Städten viele italienischsprachige Bürger angesiedelt, um die Minderheit auszutreiben – ohne Erfolg.
Erst 1946 erkannte Italien die deutsche Sprache offiziell an und räumte ihren Sprechern dieselben Grundrechte wie den Italienern ein. Über die folgenden 50 Jahre erstritten sich die Südtiroler eine Autonomie für ihre Minderheit. Inzwischen ist Südtirol auch eine Destination für zahlreiche Italiener aus dem Süden, die hier vor allem in der Gastronomie arbeiten.
Drei große Gruppen
Heute gibt es in Südtirol offiziell drei Landessprachen. Etwa 70% der Menschen sind deutscher Muttersprache, 25% wachsen hauptsächlich mit Italienisch auf und 5% leben in den ladinischen Tälern. Dort wird heute noch Ladinisch gesprochen, das sich aus dem Rätischen und Vulgärlatein entwickelt hat. Andere Linguistiker zählen Ladinisch zu den norditalienischen Dialekten – allerdings ist es einem Außenstehenden fast unmöglich, die Grödner und Gadertaler zu verstehen. Da der Sprachraum auf diese zwei Täler beschränkt ist, lernen auch die wenigsten Südtiroler, die nicht von Haus aus Ladinisch sprechen, diese Sprache.
Italienisch und Deutsch hingegen sprechen – zumindest in den Grundlagen – die meisten im Land. Die Italiener sind dabei etwas im Nachteil, generell gilt Deutsch als schwieriger. Deshalb wird von klein auf versucht, Raum für beide Sprachen zu schaffen. Es ist möglich, eine Schule in jeder der drei Landessprachen zu besuchen. Deutsch und Italienisch stehen dabei vom ersten Jahr an fest auf dem Programm. Viele öffentliche Stellen können später nur besetzt werden, wenn der Bewerber mit einem Zwei- oder Dreisprachigkeitsnachweis aufwarten kann. In diesen eigenen Prüfungen wird getestet, wie gut Verständnis und Ausdruck in den Landessprachen ist und wie leicht es fällt, von der einen in die andere Sprache zu wechseln.
Ein fließender Übergang
In den Städten ist der Kontakt zwischen den beiden Sprachgruppen besonders ausgeprägt. Die meisten italienischsprachigen Südtiroler haben sich in diesen Ballungszentren angesiedelt, vor allem Bozen und Meran sind zu großen Teilen italienisch geprägt. In den Städten verkehrt das ganze Land – zum Einkaufen zum Beispiel. Die Sprachgruppen sind bunt gemischt, man versteht einander. Hier sind auch Freundeskreise oft mehrsprachig, viele Kinder wachsen mit Eltern unterschiedlicher Muttersprache auf.
Aber auch in ländlicheren Zonen, wo weniger italienische Muttersprachler leben, sind große Teile der Bevölkerung zumindest zweisprachig. Dazu hat der Tourismus einen großen Beitrag geleistet. In Südtirol treffen Gäste aus aller Welt ein, die meisten Besucher stammen allerdings aus Deutschland und Italien. Viele Südtiroler leisten ihre ersten Sommerjobs in der Gastronomie. Ob Bestellungen, Auskünfte oder reges Geplauder auf Deutsch, Italienisch oder Englisch: Sprachen sind die Brücke zu den Menschen.
In der Anwendung
Welche Sprache dann beim Gespräch zwischen einem deutschen und einem italienischsprachigen Südtiroler gewählt wird, ist eine Sache der Höflichkeit. Wenn beide Bereitschaft zeigen, sich dem anderen anzupassen, wird meist in der Sprache desjenigen Konversation gemacht, der mit seiner Zweitsprache größere Schwierigkeiten hat. Treffen zwei Sturköpfe aufeinander, dann kann die Unterhaltung aber genauso gut auf Deutsch und auf Italienisch stattfinden.
Dabei haben beide Seiten, wenn man sie denn noch als solche betrachten will, über die Jahre große Teile ihrer Kultur ausgetauscht, angepasst und verändert. Das Essen zum Beispiel. Die italienische Dolce Vita und die deutsche Verlässlichkeit. Auch auffällig: Die Südtiroler fluchen am liebsten auf Italienisch. Die Mehrsprachigkeit ist für sie irgendwo ein Identitätsmerkmal. Schließlich wird nicht jeder in die Schnittstelle von romanischen und germanischen Sprachen hineingeboren – und erhält somit die Möglichkeit, das beste aus beiden Welten in sich zu vereinen.