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Jesus und Maria – Religion und Brauchtum „Alles […] hat nun hier schon mehr Krafft und Leben, und man glaubt wieder einmal an einen Gott“, schrieb Johann Wolfgang von Goethe 1786 auf der Durchreise durch Südtirol in sein Tagebuch. Wie viele Südtiroler heute wirklich an Got...

Jesus und Maria – Religion und Brauchtum

„Alles […] hat nun hier schon mehr Krafft und Leben, und man glaubt wieder einmal an einen Gott“, schrieb Johann Wolfgang von Goethe 1786 auf der Durchreise durch Südtirol in sein Tagebuch. Wie viele Südtiroler heute wirklich an Gott glauben, ist schwer zu erheben, aber ein Großteil der Neugeborenen wird hier noch immer im katholischen Glauben getauft. Wallfahrtsorte wie Kloster Marienberg in Mals oder Maria Weissenstein im Eggental verzeichnen jährlich hohe Besucherzahlen. Die Kreuze auf den Gipfeln, die Bildstöcke an den Wegen, die Kirchtürme über den Dächern: Der Katholizismus ist allgegenwärtig.

Ein Südtirol ohne die stark religiös geprägte Geschichte? Unvorstellbar. 313 erlaubte Kaiser Konstatin die Religionsfreiheit im Römischen Reich, seit der Mitte des 4. Jahrhundert soll es in Südtirol Bischöfe gegeben haben. Von den einflussreichen Würdenträgern in Brixen und Trient bis hin zur frommen Bauernfamilie, in der vor jeder Mahlzeit ein Gebet gesprochen wird, zog sich das Christentum wie ein rotes Band durch die Südtiroler Gesellschaft. Auch eine Vielzahl der noch heute gepflegten Traditionen hat einen katholisch-christlichen Hintergrund. 

Hofer und Herz Jesu

Wenn sich die Südtiroler nicht mehr zu helfen wussten, sandten sie ihre Gebete himmelwärts – und wurden, so scheint es, manchmal auch erhört.

1796, als in Europa der Krieg gegen die aufständischen Franzosen wütete, erhielten die Tiroler die Nachricht, dass französische Truppen auf das Land zumarschierten. In der Not wandte man sich an das Heilige Herz Jesu. Überraschenderweise wehrten sich die Tiroler erfolgreich gegen die französische Übermacht. Bis heute wird das heilige Gelöbnis eingehalten, jährlich lodern im Juni auf den Bergen unzählige Feuer zum Dank für den göttlichen Beistand. Als sich einige Jahre später die Tiroler Widerstandsbewegung noch einmal gegen die Franzosen erhob, mobilisierte ein wehrhafter Kapuzinerpater neben dem Sandwirt Andreas Hofer auch seine friedlichen Schäfchen – diesmal allerdings ohne siegreichen Ausgang.

Aber auch bei Seuchen suchte man himmlische Hilfe. Die Pestprozessionen, die an manchen Orten im Land noch immer abgehalten werden, erinnern an die Überwindung des Schwarzen Todes in den 1630er Jahren.

Wetterläuten und Weihnachten

Oft waren die existenzbedrohenden Katastrophen auch von kleinerem Ausmaß – allerdings nicht weniger verheerend. Das Leben im Gebirge war für die Bergbauern sehr beschwerlich: Vor allem plötzliche Wettereinbrüche konnten sich für die Ernte als fatal erweisen. Hagel, Kälte, heftiger Regen oder sein Ausbleiben konnten monatelange Mühen auf einen Schlag zunichtemachen, während der Mensch wehrlos danebenstehen musste. Dann half nur noch beten. In alten Bauernhäusern findet man in der Stube den sogenannten „Herrgottswinkel“, eine Ecke, in der Kreuze, Heiligenbildchen und Statuetten aufgestellt und verehrt wurden. Das Hoffen auf die höhere Macht war allgegenwärtig, genauso die Furcht vor ihr: Dieses Verhältnis spiegelt sich auch in der reichen Südtiroler Sagenwelt wider. Gott und sein teuflischer Widersacher, erkennbar an seinem Pferdehuf, treten immer wieder auf. Brauen etwa die Schlernhexen im Sommer ihre Gewitter, kann nur das Geläute von gesegneten Glocken sie daran hindern, weiteres Unheil anzurichten.

Wie das Wettergeläut noch immer praktiziert wird, so gehören auch Gottesdienste zum festen Jahresprogramm. Wird ein Weg oder eine Piste neu eröffnet, wird ein Segen gesprochen. Jedes Dorf, sogar die Schutzhütten haben ihren eigenen Kirchtag. In den zahlreichen Kirchen und Kapellen des Landes werden noch immer täglich Messen gefeiert. Und auch wenn viele Südtiroler nicht mehr die fleißigsten Kirchgänger sind – zu Ostern und Weihnachten gehört die Messe einfach dazu. 

Feste und Vereine

Außerdem haben viele Feste und Veranstaltungen ihre Wurzeln in kirchlichen Feiern. Die Festtage der Dorfheiligen etwa, ob nun „Kirschta“, „Kirchtig“ oder „Kirchta“ genannt, werden oft von mehrtägigen Feierlichkeiten begleitet, bei denen gemeinsam gegessen, getrunken und getanzt wird. Dasselbe gilt zum Beispiel auch für die Schutzpatronen der Männern oder der Feuerwehr. Bei Prozessionen an Tagen wie Palmsonntag, Fronleichnam und Erntedank erfüllen Trachten und Statuen das Dorf mit Farbe.

Auch das Vereinsleben hat oft einen religiösen Hintergrund. So sind etwa Chöre und Musikkapellen vor allem rund um die heilige Messer zu bestaunen, die Schützen treten vor allem bei Prozessionen auf, und wenn für ein Fest nach freiwilligen Helfern gesucht wird, werden Vereinsmitglieder aus allen möglichen Sparten mobilisiert. 

Aufgrund der jahrtausendealten Geschichte ist die katholische Kirche untrennbar mit der Südtiroler Kultur verwoben. Ihre althergebrachte, traditionelle Bedeutung ist heute oft noch größer als die religiöse. Wer die Dome, Kirchen, Kapellen und Bildstöcke besichtigt, die sich zwischen Häuser drängen, an Berghängen kauern oder sich zwischen Bäume ducken, lernt die Geschichten und Schicksale von Menschen kennen. Und wer in ferner Höhe das Gipfelkreuz in der Sonne funkeln seht, der wird verstehen, wie in Anbetracht dieser Schönheit und Größe nur an Gott gedacht werden konnte.